Die Werke der Barmherzigkeit

Pieter Breugel

1 Pieter Breugel stellt in seinem Bild die „Werke der Barmherzigkeit“ bzw. „Werke des Mitgefühls“ dar, z.B. Kranke besuchen. Welche weiteren Werke können Sie auf dem Bild entdecken? Lesen Sie dann die biblische Geschichte dazu im Matthäus – Evangelium Kapitel 25, 31 – 46, die den Hintergrund dieser Darstellung bildet..

2 Müsste man die Werke des Mitgefühls in der heutigen Welt noch erweitern? Wo brauchen Menschen heute Ihrer Meinung nach besondere Hilfen?

3 Welchen Bezug haben diese Tätigkeiten zur Arbbeit in der Diakonie? Was kann man den langjährigen Mitarbeitenden dazu sagen?

Pieter Bruegel der Ältere wurde zwischen 1525 und 1530 vermutlich in Breugel oder Antwerpen geboren.

Das Bild heißt „Een van de zeven deugden: Caritas (Naastenliefde)“, „Eine der sieben Tugenden: Caritas (Nächstenliebe). Unten links ist das Blatt mit »BRVEGEL 1559« bezeichnet und datiert (Rotterdam, Museum Boijmans-van Beuningen).

Wer die dem Bild zugrundeliegende Erzählung nachlesen will, wird im Evangelium nach Matthäus fündig (Mt 25, 31 – 46).

Dort findet man in einer Aufzählung sechs mitmenschliche Hilfen. Jesus teilt die Menschheit ein in eine Gruppe, die ihm geholfen hat und eine Gruppe, die das nicht getan hat. Auf die Nachfrage, wann man ihm denn konkret geholfen habe, antwortet er: alles, was ihr für die Bedürftigen, die meine Schwestern und Brüder sind, getan habt, habt ihr für mich getan.

Diese Taten sind:

  1. Hungrige speisen
  2. Durstige tränken
  3. Fremde beherbergen
  4. Nackte bekleiden
  5. Kranke besuchen
  6. Gefangene besuchen

Als siebtes Werk wurde später das „Tote bestatten“ hinzugefügt.

Diese Darstellung von Pieter Bruegel dem Älteren ist eine der ersten, die diese biblische Episode in einer neuen Bildform darstellen.

Vom 12. bis 16. Jahrhundert wurde das Thema als Zyklus in einzelnen Bildfeldern dargestellt. Dagegen fassten die Künstler der Spätrenaissance die Barmherzigkeitswerke in einem Bild zusammen, einer sogenannten Simultandarstellung. Niederländische Künstler der Druckgraphik entwickelten diesen neuen Kompositionstyp zwischen 1550 und 1560. Das Interesse an der Simultandarstellung zeigt sich deutlich in dieser Zeichnung.

Der lateinische Text, der Bruegels Druck zugefügt wurde, verweist auf den zweiten Teil des Doppelgebotes der Liebe. „Speres tibi accidere quod alteri accidit ita denum excitaveris ad opem ferendam si sumpseris eius animum qui opem tunc in malis constitutus implorat“. Sinngemäß heißt das: Rechne damit, dass das, was Anderen passiert, auch dir zustoßen kann; du wirst erst dann den Drang zu helfen verspüren, wenn du die Gefühle von einem Notleidenden zu deinen eigenen machst. Hier geht es um eine Form der Einfühlung und Empathie, um sich in die Notsituation anderer zu versetzen (Boele 2013). „Der Text spricht also direkt zum Betrachter, der das Elend der Armen als potentiell eigenes Schicksal emotional nachvollziehen soll […] (van Bühren 2016).

Es fällt auf, dass der Bezug zum Seelenheil und zum Unheil der Passage aus dem Matthäusevangelium, den frühere Bilder als Gerichtsszene groß herausgestellt hatten, überhaupt nicht da ist. „Auf den ersten Blick vermittelt die Bilderzählung den Eindruck eines einfachen Sozialeinsatzes. Die übernatürliche Bedeutung scheint zu fehlen, denn – anders als im Mittelalter – stellte Bruegel das Thema ohne das Jüngste Gericht dar“ (van Bühren 2016).  Das Motiv der Nächstenliebe steht in der Mitte.

Dort ist eine als „Cayritas“ bezeichnete Personifikation der Nächstenliebe zu sehen: eine weibliche Figur mit einem Herzen in der einen Hand und einem Kind an der anderen. Auf ihrem Kopf und genau in der Mitte der Abbildung befindet sich ein Pelikan. Er sticht sich in die Brust, als Zeichen dafür, dass er bereit ist, seine Jungen mit seinem eigenen Blut zu füttern: ein Symbol für selbstlose Nächstenliebe. Wie deren Ausübung in der Praxis Gestalt annimmt, zeigt  der Druck, in dem die Werke der Barmherzigkeit daneben und im Hintergrund abgebildet sind.

Der Kunsthistoriker Armin van Bühren resümiert die Meisterschaft emotionaler Darstellung in Verbindung mit der Absicht, ebenso zu handeln:

„Damit es aber zu einem solchen Mitleid kommen kann, musste Pieter Bruegel der Ältere jene Affekte, die er beim Betrachter erregen wollte, im Bilde selbst darstellen. Das ist ihm gelungen. Als barmherzige Wohltäter erscheinen Angehörige der Bauernschaft und des städtischen Bürgertums inmitten der Bettler und Krüppel, die sich auf drastische Weise gebärden – man beachte das schreiende und zubeißende Volk am Brotkorb, die gierig schlürfenden Durstigen, das bedrückende Elend der Krankenstube. Bild und Text wollen beim Betrachter Mitleid für die Elenden und Bewunderung für die Wohltäter erzeugen. Die christlich inspirierte Kunst erinnert also daran, dass die Tugend nur in der guten Handlung ihre Erfüllung findet“ (van Bühren 2016).

Das Bild ist ein Beispiel für das komplementäre Zusammenwirken zwischen visueller und verbaler Kommunikation. Es entfaltet einen ästhetischen Zugang zu spiritueller Bedeutung.

 

Mertin, Andreas (2017): Die sieben Werke der Barmherzigkeit. Ein Beispiel diakonischer Kunst - wiederbetrachtet. Online verfügbar unter www.theomag.de/102/am546.htm, zuletzt aktualisiert am 20.01.2017, zuletzt geprüft am 21.06.2019.

Schneider, B. (2017): Christliche Armenfürsorge: Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters: Verlag Herder.

van Bühren, Ralf (1998): Die Werke der Barmherzigkeit in der Kunst des 12. - 18. Jahrhunderts. Zum Wandel eines Bildmotivs vor dem Hintergrund neuzeitlicher Rhetorikrezeption. Hildesheim, Zürich, New York: Olms (Studien zur Kunstgeschichte, 115).

van Bühren, Ralf (2016): Mitleid und Bewunderung. Eine neue Bildform der »Werke der Barmherzigkeit« bei Pieter Bruegel d. Ä. (1559). In: Osservatore Romano, 2016 (48). Online verfügbar unter www.osservatore-romano.de/inhalte.php.

van Bühren, Ralf (2017): Caravaggio’s ‘Seven Works of Mercy’ in Naples. The relevance of art history to cultural journalism. In: Church, Communication and Culture 2 (1), S. 63–87.

 

 

 

Agape – Liebe als Wertschätzung. Das „Hohelied der Liebe“ des Paulus im 1. Brief an die Korinther 13

Teil 1

Der Apostel Paulus hat die Liebe erfunden. Das ist sicherlich etwas zugespitzt formuliert. Aber er hat dem griechischen Wort Agape die Bedeutung Liebe in dem Aspekt gegeben, den wir Nächstenliebe nennen. Berühmt ist eine Passage aus seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth geworden, in der er ausführlich und mit fast poetischen Worten erklärt, was er damit meint. Dieser Text wird „Das Hohelied der Liebe“ genannt und ist inzwischen zumindest in dem Abschlussvers eines der Lieblingsworte, die sich Brautleute für ihre Trauung auswählen: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Vertrauen, Wertschätzung und Hoffnung bilden nach christlicher Auffassung eine eigene Logik, in der Güte, Mitgefühl und gegenseitige Unterstützung dominieren und nicht die Logik der Macht, des Wettbewerbs und der Dominanz.

Menschen strukturieren ihre Welt gerne nach Konzepten, die sich hierarchisch ordnen lassen. Darin wird dann auch eine soziale Ordnung erkennbar, die etwas mit Überordnung und Unterordnung, größeren und geringeren Befugnissen, allgemeinen und besonderen Fähigkeiten zu tun hat. So ist z.B. die Berufswelt geordnet, stärker erkennbar bei Institutionen wie der Polizei, weniger erkennbar bei sehr jungen Unternehmen.

Eine solche Welt, in der die Regulation hauptsächlich durch Wettbewerb, Konkurrenz und Kompetenz erfolgt, nach den genannten Begriffen Glaube, Liebe und Hoffnung zu strukturieren, erscheint aussichtslos. Dennoch unternimmt der Apostel Paulus im entstehenden Christentum den Versuch, den Ausgangspunkt gemeinschaftlichen Lebens von gegenseitiger Wertschätzung her zu konzipieren.

 

 

Wertschätzung

Er entwirft dazu ein Konzept, das er unter dem Begriff „Agape“ zusammenfasst. Im damaligen Verständnis umgreift dieser Begriff menschliche Beziehungen, die von Güte, Zuneigung, Nachsicht und dem Willen zur gegenseitigen Unterstützung geprägt sind, einem Regulationssystem also, das in den Bereich menschlichen Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft fällt. Untersuchungen der damaligen geläufigen Bedeutung zeigen, dass der Begriff im Sinne von „wertschätzen“ umgangssprachlich gebraucht wurde (Winter 2006, S.  128). 

„Die Grundbedeutung „Wertschätzen“ mag theologisch wenig anspruchsvoll klingen, hat aber den Vorteil, dass sie in sämtlichen Belegstellen Sinn ergibt. Im NT bezieht sich das Wort agape (s. oben zu 8,3) an den meisten Stellen auf die Liebe von Personen, die andere Menschen wertschätzen. Von der Liebe der Christen redet Paulus häufig: 353 Sie bedeutet als Nächstenliebe die Erfüllung des Gesetzes (Röm 13,8-10; Gal 5,14)“ (Schnabel S. 760).

Im christlichen Kontext wird dieser Begriff bis heute als „Liebe“ übersetzt und als Nächstenliebe aufgefasst, also einer Mitmenschlichkeit, in der die Wertschätzung eines Menschen unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Hautfarbe oder sozialem Status ist.

Der Begriff „Agape“, der Liebe als Nächstenliebe konzipiert, beinhaltet vor allem die Wertschätzung von Menschen. Dieser Vorgang ist dann nicht besonders schwierig, wenn diese Menschen uns nahestehen oder sehr ähnlich sind. Agape bedeutet aber nicht, dass „Christen flauschig warme Gefühle füreinander empfinden sollen“ sondern „dass die Kirche…als eine Familie funktionieren sollte, in der jedes Mitglied als ein gleichwertiges Mitglied akzeptiert werden sollte, egal wie der jeweilige soziale, kulturelle oder moralische Hintergrund aussieht“ (Wright 2010, 184).

Paulus hat nichts dagegen, dass Menschen ihre Begabungen eifrig entwickeln wollen und darin auch einen gewissen Ehrgeiz legen. Er will aber der entstehenden Gemeinschaft ans Herz legen, dass die Konzepte Vertrauen, Hoffnung und vor allem die gegenseitige Wertschätzung ein besseres Regulationssystem des Miteinanders sind.

 

Kontext

Die von Paulus gegründete Gemeinschaft von Christen in Korinth streite sich über die Kompetenzen, die der Heilige Geist schenkt. Diese werden „Charismen“ genannt, bekannt ist das ja im deutschen als „Charisma“. Paulus findet die Kompetenzen okay, aber nicht, dass es darüber Machtfragen gibt, wer was am besten kann und die besten Gaben hat.

 

1. Kor 12, 31 Strebt aber nach den größeren Gaben!

Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen.

1. Kor. 13 Das Hohelied der Liebe

Erklärungen aus der „Basisbibel“ (B) und „Welt der Bibel“ (W) (https://www.welt-der-bibel.de/bibliographie.1.2.erste_Brief_Paulus_Korinther.49.html)

 

1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen (1) redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle (2).

1  Das Wirken des Heiligen Geistes zeigte sich in der frühen Kirche unter anderem im so genannten Zungenreden (vgl. 1 Korinther 12,10). Menschen, die sich dem Heiligen Geist öffnen, können die Erfahrung machen, dass sie bei vollem Bewusstsein zum Sprachrohr Gottes werden. Es kann sich dabei um eine andere Sprache handeln, die der/die Sprechende eigentlich gar nicht beherrscht (vgl. Apostelgeschichte 2,4) oder um eine völlig unbekannte Ausdrucksweise. (B)

2 Gong und Becken (Klanginstrumente) (B)

 

2 Und wenn ich prophetisch reden (3) könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

3 Propheten im frühen Christentum: In den ersten christlichen Gemeinden ist »Prophetie« eine Gabe des Heiligen Geistes neben anderen Geistesgaben. Der Prophet verkündet eine Botschaft, die er von Gott empfangen hat (1 Korinther 14,26-32). Das kann auch eine Weissagung für die Zukunft sein (Apostelgeschichte 11,27-28; Offenbarung 1,1-2). Die neutestamentlichen Propheten haben aber v.a. die Aufgabe, die gegenwärtige Lage im Licht des Willens Gottes zu beleuchten. Wie die Propheten des Alten Testaments übermittelten sie der Gemeinde Weisungen von Gott, durch die diese ermahnt, ermutigt oder getröstet werden soll. Paulus gibt der prophetischen Rede den Vorrang vor der Rede in unbekannten Sprachen, weil der Prophet mit verständlichen Worten redet und so dem Aufbau der Gemeinde dient. Dennoch soll auch die prophetische Rede von der Gemeinde geprüft werden (1 Thessalonicher 5,20-21).

 

3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen (4), und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

4 wurde oft übersetzt als „meinen Leib brennen lasse“, aber die richtige Übersetzung ist wohl „damit prahlen, dass ich sogar bereit bin, meinen Körper/ mein Leben zu opfern“

 

4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;

7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

Paulus schreibt der Liebe Eigenschaften zu, die zweierlei Wirkungen haben: Erstens werden die Mitmenschen geachtet, in der Wertschätzung gestärkt und menschlich geschont. Zweitens nimmt sich jeder selbst zurück, dämpft die Streitsucht und setzt seine eigenen Gnadengaben nicht zur Steigerung des eigenen Selbstbewusstseins und Ansehens, sondern zum Nutzen aller ein.

Langmut zeigt sich nachsichtig bei Schwächen anderer Gemeindeglieder, und Güte schont den Mitmenschen und achtet ihn, indem sie einen freundlichen Umgang pflegt. Die eigene Person samt ihren Gnadengaben rückt in den Hintergrund: Wer liebt, eifert nicht, greift also nicht wegen einer Meinungsverschiedenheit oder einer anderen Einstellung in Fragen des Glaubens oder der Glaubensausübung an. Die Liebe führt dazu, dass Prahlerei und Wichtigtuerei aufhören. (W)

 

 

Agape – Liebe als Wertschätzung. Das „Hohelied der Liebe“ des Paulus im 1. Brief an die Korinther 13

Teil 2

8 Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.

Die Liebe ist gegenüber den Gnadengaben herausgehoben, weil sie niemals hinfällig wird. Die Liebe bleibt - keine Macht der Welt bringt sie zu Fall. Anders die göttlichen Gnadengaben: Sie werden alle aufhören bzw. zunichte werden. Paulus zählt die Liebe nicht zu den Gnadengaben. In Liebe sollen die Gnadengaben ausgeübt werden (vgl. 1 Kor 12,31b - 13,7). Die von Paulus aufgezählten Gnadengaben stehen möglicherweise bei den Korinthern besonders hoch im Kurs, werden von diesen jedoch nicht in Liebe ausgeübt. (W)

9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.

10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.

12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

 

 

 

 

Assoziationen

U2 -One love

https://www.youtube.com/watch?v=ftjEcrrf7r0

Nena – Liebe ist

https://www.youtube.com/watch?v=eE1YhAPESpk

 

Nächstenliebe – Agape

Feindesliebe

Matthäus 6, 43-48 (Basisbibel)

Die Bergpredigt: Das Gebot, den Mitmenschen zu lieben

43 »Ihr wisst,
dass gesagt worden* ist*:
›Liebe deinen Nächsten
und hasse deinen Feind!‹
* Diese Formulierung, die dem griechischen Text entspricht, macht deutlich: Gott war es, der hier gesprochen hat.
* Das Gebot, seine Feinde zu lieben, findet sich im Alten Testament in 3 Mose/Levitikus 19,18; der zweite Teil des Verses ist wohl eine damals übliche Engführung, die Jesus aufgreift.
44 Ich sage euch aber:
Liebt eure Feinde!
Betet für die,
die euch verfolgen!
45 So werdet ihr zu Kindern eures Vaters im Himmel!
Denn er lässt seine Sonne aufgehen
über bösen und über guten Menschen.
Und er lässt es regnen
auf gerechte und auf ungerechte Menschen.
46 Denn wenn ihr nur die liebt,
die euch auch lieben:
Welchen Lohn erwartet ihr da von Gott?
Verhalten sich die Zolleinnehmer nicht genauso?
47 Und wenn ihr nur eure Geschwister grüßt:
Was tut ihr da Besonderes?
Verhalten sich die Heiden nicht genauso?
48 Seid vollkommen,
wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!«
 

Ein interessantes Denkmuster: Liebt eure Feinde!

Warum sollte man seine Feinde wertschätzen? Ein solches Denkmuster widerstrebt völlig den natürlichen Voreinstellungen – neudeutsch mindsets genannt – unseres Gehirns.

Zu den Begriffen: Die Rede ist hier wieder von der Agape, einem Begriff, dessen christlicher Inhalt vor allem von Paulus geprägt wurde und den man als Liebe im Sinne von Nächstenliebe übersetzen kann. Der Charakter des Gemeinten wird aber deutlicher, wenn man ihn als Wertschätzung übersetzt. Das soziale Koordinatensystem des Denkmusters, das Jesus hier öffnet, besteht aus Plesion (der nah wohnt, oder mir „nahesteht“) und Echthros (der mir feindlich ist; vermutlich nicht militärisch). Dieses Schema gehört zu den grundlegenden Unterscheidungen menschlichen Denkens. Im Deutschen nennen wir dies „Das Freund-Feind-Denken“. Der Staatstheoretiker Carl Schmitt hat es für die Politik als die wesentlich Kategorie eingestuft.

Die Argumentation in dem biblischen Abschnitt ist mehrschichtig. Da ist zunächst das motivationale Argument: Ihr werdet so zu Kindern Gottes. Und es folgt eine schöpfungstheologische Begründung: Gott behandelt in der Welt, so wie er sie geschaffen und eingerichtet hat, alle Menschen gleich. Die Sonne geht für alle auf und Gott schickt auch allen Menschen Regen, unabhängig ihrer moralischen und religiösen Gütekriterien.

Das weitere Argument ist wieder motivational. Menschen erwarten offenbar, dass sie von Gott belohnt werden. Aber wofür, wenn sie nichts Anderes tun als alle anderen auch?

Am Schluss dieses Denkmusters steht die Aufforderung: Seid vollkommen! Ist das eine Aufforderung zur Selbstoptimierung?  Wohl kaum, denn Wertschätzung zu zeigen hat nichts damit zu tun, besser sein zu wollen als andere. Es ist gerade nicht der Weg zu einem Überlegenheitsgefühl und zur Geringschätzung anderer. Das zeigt sich ganz deutlich bei Paulus, der sozusagen den Begriff Agape als Denkmuster eingeführt hat. Er begreift und vermittelt diese Wertschätzung als einen eigenen Modus der Haltung und Lebensführung, der die üblichen sozialen Denkmuster („bin besser als du“, „habe mehr zu sagen als alle anderen“) übersteigt (1. Korinther 12 und 13). Es ist der sozusagen bessere Weg, ein Weg gegenseitiger Anerkennung, des Respektes und der Vielfalt.

Die Frage ist natürlich, ob das ganze und insbesondere die Forderung nach Vollkommenheit nicht eine Überforderung zumindest des Durchschnittsmenschen ist. In der Auslegungstradition wurde dies oft so gelöst. Ein Strang geht davon aus, dass ein solches Denkmuster nur in einer extremen und nicht lange andauernden Situation Bestand haben kann: Nämlich, wenn man davon überzeugt ist, dass das Ende der Welt, so wie wir sie kennen, unmittelbar bevorsteht. Andere Ausleger wollten darin „geistliche Räte“ für besonders in der Erzeugung von Geisteshaltungen geübte Menschen sehen, wie z.B. Mönche und Nonnen.

Aber was ist, wenn man „vollkommen sein“ auf dem Hintergrund alttestamentlicher Vorstellungen sieht? Da ist in vielen Zusammenhängen Vollkommenheit ein „ganz sein“, aber auf keinen Fall ein Perfektionismus. Vollkommen sein bedeutet dann, das Herz als Sitz seiner Gedanken und Gefühle nicht zu zerteilen in einen Bereich der Wertschätzung und einen Bereich des Hasses. Wer das tut, ist zerrissen, aber kann kaum etwas „von ganzem Herzen“ tun.

An dieser Stelle ist es interessant, auch kurz das Denkmuster „Liebende Güte“ (Metta; sanskrit „maitri“, engl. loving kindness) des Buddhismus zu betrachten. Sie wird häufig mit der Mutterliebe verglichen, die ihre Kinder unabhängig von Aussehen oder Verhaltensweisen liebt.

In den Meditationen dazu wird eingeübt, mitfühlend zu sein mit allen Menschen und Wesen, die man sehr mag und die einem nahestehen, sowie mit sich selbst, aber auch mit allen Lebewesen, die man nicht mag. Dies beruht natürlich auf einem bestimmten Strang buddhistischer Philosophie, die alle Lebewesen, auch sich selbst, als leidende Wesen sieht. Eine menschliche Kategorisierung, die  in z.B.  „gut“ und „böse“ oder „wertvoll“ und „nutzlos“ unterscheidet, wird als Konstrukt des menschlichen Hirns oder der menschlichen Natur angesehen. Mediation kann ein Weg sein, anstatt automatisch dem „Beurteilungsmodus“ des menschlichen Hirns zu folgen, den Modus „Liebende Güte“ bei sich zu stärken.

Die Begründungen im Christentum und Buddhismus sind zwar sehr unterschiedlich. Aber vermutlich kam es Jesus darauf an, dass jeder Mensch den Modus der „Liebe“ bzw. der „Wertschätzung“ in seinem Leben praktiziert. Seine Zuhörerinnen und Zuhörer, Schülerinnen und Schüler sind absolut bodenständige Menschen ohne große geistliche Erfahrung oder spirituellen Reichtum. Es steht zu vermuten, dass Jesus jedem Menschen zugetraut hat, diese Denkmuster einzuüben und zu leben.

 

 

Nächstenliebe - Feindesliebe